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Vortragseinladung 2013-07-10: Intergeschlechtliche Biographien

Anja Gregor
Autonomie der Geschlechtsentwicklung!? Intergeschlechtliche Biographien zwischen medizinischer Definitionsmacht und Selbstbestimmung.
Mittwoch 10.07.2013, 19:15, Von Melle Park 5 (“Wiwi Bunker”) 0079

Anja Gregor ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für allgemeine und theoretische Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Mit dem medizinischen Zugriff auf intergeschlechtliche Körper wird in ganz besonderer Weise Einfluss auf die Geschlechtsentwicklung genommen. Durch die sexuellen und geschlechtlichen Zurechtweisungen im Sinne der gesellschaftlichen Normen ist es zwar auch bei Menschen mit körperlich gültigem (und dem Empfinden entsprechenden) Geschlecht problematisch, von einer autonomen Geschlechtsentwicklung zu sprechen. Es macht jedoch einen Unterschied, das ist eine These des Vortrags, ob Geschlecht gleichsam ‚ins Fleisch geschnitten‘ und also der Körper normalisierend zugerichtet oder dem Menschen über normative gesellschaftliche Werte vermittelt wird. Die Geschlechtsentwicklung wird dann eine ‚außergewöhnliche‘, wenn sich der Herrschaftsmechanismus der Normalisierung durch medizinische Zugriffe im intergeschlechtlichen Körper materialisiert. Es sind nicht mehr die disziplinierenden Interaktionen und Zuschreibungen über die Lesbarkeit des Antlitz und die Sprache, das Antlitz wird lesbar gemacht, mit für die Entwicklung des Individuums maßgeblichen Folgen.

Im Vortrag werde ich zunächst kurz einige Punkte zu meinem Verständnis von der Autonomie der Geschlechtsentwicklung sagen, meine Überlegungen dazu danach ausführlicher an Auszügen aus den biographischen Interviews verdeutlichen, die mir intergeschlechtliche Menschen gegeben haben. Ich möchte den Vortrag mit einigen an den jüngsten politischen und rechtlichen Ereignissen orientierten Überlegungen zur Notwendigkeit eines akzeptierenden Umgangs mit intergeschlechtlichen Menschen schließen, um anschließend in die Diskussion einzusteigen.

Vortragseinladung 2013-06-19: Das Fatale Genitale

Diana Hartmann
Das fatale Genitale
Mittwoch 19.06.2013, 19:15, Von Melle Park 5 (“Wiwi Bunker”) 0079

Diana Hartmann ist KunstfotografIn und Intersex-AktivistIn in Hamburg. Sie referiert Mittwoch zu folgendem:

Eine zu große Klitoris zu haben ist nicht erlaubt in Deutschland. Mit zu „groß“ wird die Länge bei Neugeborenen bei ca. 1,5 cm angesetzt, ungefähr die Länge einer Fingerkuppe. Ein zu kleiner Penis mit weniger als ca. 2 cm ist ebenfalls nicht erlaubt. Bei einer großen Klitoris hat man/n die Befürchtung, dass sie sich über Gebühr erigieren könnte, und bei einem kleinen Penis befürchtet man/n eine nicht genügende Erektionsfähigkeit. Solche Genitale werden zum Störfaktor der strikt aufrecht gehaltenen und beruhigenden sozialen Ordnung unserer heutigen Gesellschaft, in der jede/r zu glauben hat, dass unsere Körper nur in zwei Formen zu existieren haben: perfekt männlich oder perfekt weiblich. Unsere Genitale sind jedoch überraschend mehr- und auch uneindeutig. Tag für Tag werden Kinder in unsere Gesellschaft geboren, die nicht zu dem reflexartigen Ausruf „Es ist ein Mädchen!“ oder „Es ist ein Junge!“ animieren, und noch viele mehr haben Genitalien, die als „maskulinisiert“ oder „feminisiert“ definiert werden, obwohl das Geschlecht des Kindes außer Frage steht. Gemäß der Leitlinie der Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin wird empfohlen, die Genitalien der Kinder im Alter von ca. einem Jahr operativ zu modifizieren, um ihre Körper in eine Richtung zu manipulieren, die dem gesellschaftlichen Konsens der „wahren“ Weiblichkeit oder Männlichkeit entsprechen. Klitorale Chirurgie und Phalloplastie sind brutal und unlogisch und – egal wie man es nennen will – sie sind immer eine Verstümmelung. Wir werden in diesem Vortrag den misogynen, homofeindlichen und sexualitätszerstörenden Hintergrund der sog. „Genitalen Zwangsoperationen“ an Mädchen, Jungen und Intersexe beleuchten.

Michaela: Umgang von Medizin und Gesellschaft mit intersexuellen Menschen

Logo des Podcasts von Jenseits der GeschlechtergrenzenAm letzten Wochenende wurde in Hamburg anlässlich des DGKJ-Kongresses gegen Genitalverstümmlung bei intersexuell geborenen Kindern protestiert. Zum Thema Intersexualität/Zwischengeschlechtlichkeit reichen wir heute noch einen Podcast nach. Im Wintersemester 2011/2012 hatten wir Michaela zu Gast, die in Halle als Ärztin arbeitet und über den „Umgang von Medizin und Gesellschaft mit intersexuellen Menschen“ referierte.

[podcast]http://www1.uni-hamburg.de/QUEERAG/podcast/michaela_2012_CC.mp3[/podcast]
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Intersexualität mag inzwischen mehr Menschen theoretisch bekannt sein, verbessert hat sich der Umgang mit den Betroffenen bis heute wenig. Auch heute noch übt die Medizin in “fortschrittlichen” Ländern mit Skalpellen und anderen Instrumenten Gewalt gegen intersexuelle Menschen aus, sobald sie ihrer habhaft werden kann. Diese Behandlungen ohne medizinische Notwendigkeit dienen nicht dem Kindswohl, sondern mutmaßlichen oder auch nur eingebildeten Bedürfnissen nicht-intersexueller Menschen. Die lebenslangen Folgen für die Betroffenen können unter anderem Schmerzen, Verlust der sexueller Empfindungsfähigkeit, und schwere körperliche Schäden beinhalten; erschwerend tritt eine Traumatisierung ein, besonders wenn Betroffenen gegenüber geschwiegen oder gelogen wird, was jahrzehntelang als “Standard” galt.

Ungeachtet des Ausmaßes an Menschenrechtsverletzungen, wie es ein erheblicher Anteil der Betroffenen erlitten hat, erschrecken auch die Zahlen derer, die vermeintlich “glimpflich” davon gekommen sind, zumal sich viele anscheinend nicht der Zusammenhänge bewußt sind; sie neigen dazu, die Ursache für körperliche und seelische Probleme bei sich und ihrem angeborenen So-Sein zu suchen, statt bei den Tätern im Medizinsystem. Intersexualität wurde von Gesellschaftswissenschaftlern und politischen Organisationen anderer Zusammenhängen zwar entdeckt und angeführt, aber statt sich mit den Zwittern gegen die Zwangsoperationen und -behandlungen zu solidarisieren, ging es um die Interessen anderer Gruppen, bisweilen wurden sogar “Mittäter” als “Experten” herangezogen.

Da ja intersexuelle Menschen gar nicht so selten sind, kommen sie auch in lesbischen oder “queren” Zusammenhängen vor; der tatsächliche Umgang mit ihnen sollte an Offenheit und Akzeptanz gewinnen.

Vortragseinladung 2012-04-25: trans*inter*phobie

Ines Pohlkamp
Täuschend echt?! Zum Gewicht der Illusion im Feld trans*inter*feindlicher Diskriminierung und Gewalt
Mittwoch 25.04.2012, 19:15, Von Melle Park 5 („Wiwi Bunker“) 0079

Der Vortrag wird in die Deutsche Gebärdensprache übersetzt. Weitersagen!

Transphobie hat viele Gesichter: Eine Seminarteilnehmerin berichtet von den Erfahrungen eines Freundes: „Der hat die schöne Frau geküsst. Und dann hatte die einen Penis!“ Alle anderen im Raum lachen. Einer ruft: „Aber man will doch wissen, mit wem man ins Bett geht.“

Aus Bremen kommt Ines Pohlkamp, Referentin für queer-feministische Mädchenarbeit, intersektionale Bildung, Forschung zu heteronormativer Diskriminierung und Gewalt gegen Trans*Inter*Personen, welche auch Kriminologie studiert hat und aus ihrem Promotionsthema referiert.

Im Vortrag „Täuschend echt?!“ fragt Ines Pohlkamp nach der Bedeutung von ‚Echtheit‘ und der ‚Falschheit‘ von Geschlecht im Feld der Diskriminierung und Gewalt. Die Referentin lädt zur Reflexion über diskursmächtige „täuschend echte“ Phänomene der Zweigeschlechtlichkeit ein und präsentiert Ergebnisse aus ihrer qualitativen Studie zur Trans*Inter*feindlichen Diskriminierung und Gewalt. Anhand von ausgewähltem Interviewmaterial mit geschlechtlich nonkonformen Personen wie Transgender, Crossdresser_innen oder intersexuellen Personen veranschaulicht sie die zentrale Stellung des Stereotyps der „Täuschung“ (Talia M. Bettcher). Mit Hilfe ihrer Ergebnisse hinterfragt sie das Phänomen geschlechtlicher Authentizität.

Filmabend am 8. März: „Die Katze wäre eher ein Vogel“

Am 8. März 2012 laden wir um 19 Uhr ins Café Munck (Gilbertstraße 60) zu einem Filmabend. Gezeigt wird „Die Katze wäre eher ein Vogel“ von Melanie Jilg mit anschliessendem Gespräch mit Vertreter_innen der Selbsthilfegruppe xy-Frauen und des Vereins Intersexuelle Menschen e.V.

Intersexualität, Hermaphroditismus oder Zwischengeschlechtlichkeit gibt es so lange es Menschen gibt, doch ohne im gesellschaftlichen Bewusstsein zu existieren. Daraus resultieren Diskriminierungen gegenüber Inter*Menschen. Medizinisch unnötige genitalverstümmelnde Operationen ohne ausreichende Evidenz selbst im frühen Kindesalter erleiden Inter* Menschen trotz vehementer Kritik an dieser menschenrechtsverletzenden Praxis.

In den vergangen Jahren hat sich, nicht zuletzt durch massive politische Interventionen von Inter*Aktivist_innen, einiges verändert. War Hermaphroditismus über Jahrzehnte mystifizierbare Grundlage für Kunst und Kultur und in der gesellschaftlichen Wahrnehmung weitestgehend tabuisiert, wird gegenwärtig über die ethische Beurteilung der momentanen Situation und gesetzliche Änderungen zum Schutze von Inter*Menschen verhandelt. Auch in Wissenschaft und in den Medien wird das Thema präsenter, doch häufig in einem Sprechen über und nicht einem Sprechen mit oder einem Sprechen als Inter*Person.

Deshalb werden in den geplanten Veranstaltungen Inter*Personen sprechen, sowohl im angekündigten Film, als auch im anschließenden Austausch mit einigen Vertreter_innen der Selbsthilfegruppe der xy-frauen und des Vereins Intersexuelle Menschen e.V.

Veranstaltet von der AG Queer Studies und Unterstützer_innen sowie dem AStA der Uni Hamburg.

Vortragseinladung 2012-01-25: Intersex

Michaela
Umgang von Medizin und Gesellschaft mit intersexuellen Menschen
Mittwoch 25.01.2012, 19:15, Von Melle Park 5 („Wiwi Bunker“) 0079

Michaela ist Ärztin aus Halle und referiert zu folgendem Thema:

Intersexualität mag inzwischen mehr Menschen theoretisch bekannt sein, verbessert hat sich der Umgang mit den Betroffenen bis heute wenig. Auch heute noch übt die Medizin in „fortschrittlichen“ Ländern mit Skalpellen und anderen Instrumenten Gewalt gegen intersexuelle Menschen aus, sobald sie ihrer habhaft werden kann. Diese Behandlungen ohne medizinische Notwendigkeit dienen nicht dem Kindswohl, sondern mutmaßlichen oder auch nur eingebildeten Bedürfnissen nicht-intersexueller Menschen. Die lebenslangen Folgen für die Betroffenen können unter anderem Schmerzen, Verlust der sexueller Empfindungsfähigkeit, und schwere körperliche Schäden beinhalten; erschwerend tritt eine Traumatisierung ein, besonders wenn Betroffenen gegenüber geschwiegen oder gelogen wird, was jahrzehntelang als „Standard“ galt.

Ungeachtet des Ausmaßes an Menschenrechtsverletzungen, wie es ein erheblicher Anteil der Betroffenen erlitten hat, erschrecken auch die Zahlen derer, die vermeintlich „glimpflich“ davon gekommen sind, zumal sich viele anscheinend nicht der Zusammenhänge bewußt sind; sie neigen dazu, die Ursache für körperliche und seelische Probleme bei sich und ihrem angeborenen So-Sein zu suchen, statt bei den Tätern im Medizinsystem. Intersexualität wurde von Gesellschaftswissenschaftlern und politischen Organisationen anderer Zusammenhängen zwar entdeckt und angeführt, aber statt sich mit den Zwittern gegen die Zwangsoperationen und -behandlungen zu solidarisieren, ging es um die Interessen anderer Gruppen, bisweilen wurden sogar „Mittäter“ als „Experten“ herangezogen.

Da ja intersexuelle Menschen gar nicht so selten sind, kommen sie auch in lesbischen oder „queren“ Zusammenhängen vor; der tatsächliche Umgang mit ihnen sollte an Offenheit und Akzeptanz gewinnen.

Vortragseinladung 2011-12-07: Klinefelter

Ralf Johnki, Andrea Engelken
Aus der Welt des Klinefelters – XXY…ungelöst???
Mittwoch 07.12.2011, 19:15, Von Melle Park 5 („Wiwi Bunker“) 0079

Am Mittwoch referieren Ralf Johnki aus Krefeld und Andrea Engelken aus Hamburg zum Thema Klinefelter. Sie sind vorsitzende der Deutschen Klinefelter-Syndrom Vereinigung.

Die genaue Ursache des Klinefelter-Syndroms wurde in den 50er Jahren gefunden: Ein zusätzliches X-Chromosom in den Zellkernen. Männer mit klassischem Klinefelter-Syndrom haben ein zusätzliches X-Chromosom, sodass sich der Chromosomensatz 47,XXY ergibt. Neben der klassischen Form gibt es auch Mosaik- und Sonderformen. Die Frage nach den typischen Merkmalen für das Klinefelter-Syndrom lässt sich nicht allgemeingültig beantworten; charakteristisch sind jedoch, für alle Betroffenen gemeinsam, die kleinen Hoden.

In unserem Beitrag berichten wir von der Aufklärungsarbeit in der Öffentlichkeit über das Klinefelter-Syndrom. Wir informieren Ärzte, Geburtshelfer und Pädagogen, Logopäden und nicht zuletzt betroffenen Männer, Lebenspartner, werdende Eltern und Jugendliche, die mit der Diagnose konfrontiert worden sind, und bieten emotionale und psychische Hilfe an bei der Klärung der Fragen zum Klinefelter-Syndrom. In Deutschland ist jeder 500. Junge, der geboren wird, davon betroffen. Derzeit leben etwa 80.000 nicht diagnostizierte Männer in Deutschland. Das Klinefelter-Syndrom stellt zwar keine Behinderung dar. Es kann aber zu einer solchen werden, wenn nicht in jungen Jahren richtig unterstützt, gefördert und therapiert wird.

Themenschwerpunkte unserer Arbeit sind: Aufklärung zur Frühförderung, beratende Unterstützung bei der Verwechselung mit dem ADS oder ADHS, emotionale und psychische Hilfestellungen vor allem auch nach der Diagnosestellung im Erwachsenenalter sowie nach der pränatal Diagnostik. Ferner die allgemeine Aufklärungsarbeit in der Öffentlichkeit sowie bei allen medizinischen, wissenschaftlichen sowie pharmazeutischen Unternehmen und Organisationen. Ein Thema eben, was allen Menschen vielleicht zu Gute kommen kann.

Vortragseinladung (Schriftgemittelt!) 2011-07-06: „Armlose Wunder“

Lucie Storchová
„Ich will, deswegen kann ich!“ Geschlechtliche Markierung der Normalität, Produktivität und „bürgerlichen Tüchtigkeit“ in Autobiographien der zentraleuropäischen „armlosen Wunder“ (1910–1930)
Mittwoch 06.07.2011, 19:15, Von Melle Park 5 („Wiwi Bunker“) 0079

Der folgende Vortrag wird in Kooperation mit zusammen mit unserer PartnerInitiative Zentrum für Disablity Studies (ZeDiS) angeboten. Schriftmittler*Innen werden anwesend sein, d.h. verbreitet diese Ankündigung weiter, solltet Ihr potentiell interessierte kennen.

Lucie Storchová ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Philosophischen Institut der tschechischen Akademie der Wissenschaften und am Institut für Anthropologie an der Faculty of Humanities in der Karls-Universität zu Prag. Sie referiert folgendes:

Obwohl eine breitere konzeptionelle Diskussion sowie konkrete Forschungsprojekte zum Thema in der zentral- und osteuropäischen Geschichtswissenschaft mehr oder weniger fehlen, gehören die Imagination und kommerzielle Ausstellungen des „außerordentlichen Körpers“ (extraordinary body) an der Wende von 19. zum 20. Jahrhundert zu entscheidenden Phänomenen in der Entstehung des modernen zentraleuropäischen Nationalismus oder liberalen Kapitalismus. In meinem Exposé möchte ich auf den diskursiven Rahmen dieser Prozesse fokussieren, im besonderen auf Intersektionen von Gender und anderen Differenzdiskursen (als Klasse, Nation, Heteronormativität oder körperliche Differenz) in Autobiographien, die von renommierten „armlosen Wundern“ nach dem Ersten Weltkriege verfasst worden sind. Das autobiographische Selbst sowie der außerordentliche Körper in seiner Materialität lassen sich in diesem Sinne als textuelle Effekte der vielseitigen diskursiven Interaktion interpretieren, die unter anderen auch derzeitige Vorstellungen von ökonomischer Produktivität mitgestalteten. Die Lebensbeschreibung von Carl Hermann Unthan, dem populären und erfolgreichen armlosen Violinisten, wurde in Stuttgart unter dem Titel „Das Pediscript. Auszeichnungen aus dem Leben eines Armlosen“ in 1925 herausgegeben und diente als eine intertextuelle Basis für andere Super-Crip Autobiographien der Zeit. Als eine tschechische Parallele wähle ich ein einige Jahre später erschienenes Buch von František Filip „Bezruký Frantík píše o sobě“ („Armloser Franz schreibt von sich selbst“) aus. Eine entscheidende Rolle in der Produktion des autobiographischen Selbst spielte in beiden Texten der mit der Imagination von „ökonomischer Nützlichkeit“ und „ehrenvollem Lohn“ verbundene Diskurs der körperlichen Zwangsfähigkeit/Zwang zu nichtbehinderter Körperlichkeit (compulsory able-bodiedness), die als verbindlich auch für normates – im Sinne wie Rosemarie Garland-Thomson den Begriff benutzt – betrachtet wurden. Die Männlichkeit des außerordentlichen Körpers überschneidet 12 sich in beiden Lebensläufen auch mit Motiven der „bürgerlichen Tüchtigkeit“ und öffentlichen Engagiertheit – sei in Kriegsbestrebung in Falle Unthans oder in der Ideologie des Republikanismus und liberalen Kapitalismus bei Filip. Im abschließenden Teil meines Vortrages konzentriere ich mich auf Nachleben beider Lebensbeschreibungen seit den 1950ern. Die Autobiographie von Carl Unthan wurde am Ende der 60er Jahre von Joachim Piechowski neu bearbeitet; der Verfasser akzentuierte in seinem „dokumentarischen Roman“ „Der Mann ohne Arme“ solche Motive wie die zufriedene Ehe Unthans (mit dem Gewicht auf die Liebe für die innere Schönheit usw.) oder das Engagement des armlosen Violinisten im nachkriegszeitlichen Pazifismus und in der entstehenden Bewegung für Behindertenrechte. Paradoxerweise, ergänzen wir, weil das autobiographisches Selbst in der originellen Lebensbeschreibung Unthans sich gerade durch Strategien des „Anpassens“ (passing) und explizite Ablehnung der „Krüppelidentität“ charakterisieren lässt – es handelt sich um eine Art der Annihilation der eigenen körperlichen Differenz, die sich auf der hervorgehobenen Gender- und Klassenormalität des Autors und auf seine bürgerliche Arbeitsmoral und Anstrengung in Name des Vaterlandes und sein Kriegsansatzes gründete. Noch signifikanter für den aktuellen Zustand in postkommunistischen Ländern scheinen tschechische Aufsätze und Bücher über „den armlosen Franz“ aus den letzten zwei Dekaden. Die Person und das autobiographische Selbst dieses renommierten „armlosen Wunders“ funktionierte mehr als 50 Jahre nach seinem Tod als ein Super-Crip-Held der entstehenden neoliberalen Ideologie, als ein Beispiel eines idealisierten Unternehmers und Selfmademans, der nicht nur alle Äußerungen des Mitleids sondern auch das ganze „veraltete“ Fürsorgesystem des kommunistischen Sozialstaates ablehnt und verneint.

Lüder Tietz: Kritik der Psychopathologisierung von Homo-, Trans- und Intersexualität

Logo des Podcasts von Jenseits der Geschlechtergrenzen Lüder Tietz ist wahrlich kein Unbekannter in der Reihe „Jenseits der Geschlechtergrenzen“. Er gründete in den 90er Jahren die AG LesBISchwule Studien (heute AG Queer Studies) und hat – auch als Mitherausgeber des ersten Sammelbandes – die Geschichte der Reihe und AG in besonderer Weise geprägt. Der Ethnologe ist heute wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Materielle und Visuelle Kultur der Universität Oldenburg und zudem als Berater und Trainer tätig. Lüder hat zu Homosexualität und Transidentität im indigenen Nordamerika und ethnographisch zu CSD Paraden gearbeitet. Das Thema seines Vortrages im Sommersemester 2011 war „Kritik der Psychopathologisierung von Homo-, Trans- und Intersexualität“. Die Folien zum Vortrag (PDF) hat er uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

[podcast]http://www1.uni-hamburg.de/QUEERAG/podcast/tietz_2011_CC.mp3[/podcast]
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Öffentliche Anhörung und Dialog zur Situation von Menschen mit Intersexualität

Deutscher Ethikrat
Öffentlich Anhörung zum Thema Intersexualität
Mittwoch 08.06.2011 (Anmeldung bis 2011-06-05), 10-17, Markgrafenstr. 38 (Berlin) Leibnitzsaal

Von Intersexuelle Menschen e.V. erreichten uns der Hinweis auf eine Öffentliche Anhörung und Dialog zur Situation von Menschen mit Intersexualität in Deutschland, zu der der Deutsche Ethikrat am 8. Juni in Berlin einlädt. Aus der Einladung des Deutschen Ethikrates:

der Deutsche Ethikrat erarbeitet derzeit im Auftrag der Bundesregierung eine Stellungnahme mit dem Ziel, die Situation und die Herausforderungen für Menschen mit Intersexualität differenziert aufzuarbeiten. Vor diesem Hintergrund legt der Ethikrat großen Wert darauf, die Sichtweisen von Ärzten, Therapeuten, Sozialwissenschaftlern und Juristen ebenso zu erfassen wie die Perspektiven der Betroffenen und ihrer Eltern, die nun angehört werden sollen.

In diesem Zusammenhang führt der Deutsche Ethikrat eine öffentliche Anhörung mit Dialog zur Situation von Menschen mit Intersexualität

Zeit
Mittwoch, den 8. Juni 2011, 10:00 bis 17:00 Uhr

Ort
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften Leibnizsaal
Markgrafenstr. 38
10117 Berlin

Anmeldung erforderlich bis Sonntag, den 5. Juni 2011, online unter www.ethikrat.org oder telefonisch unter 030/20370-242 bzw. per Fax unter 030/20370-252.

Die Anhörung ist Teil eines mehrstufigen Diskurs-Verfahrens, das im Mai mit einer Befragung der genannten Zielgruppen begonnen hat und nach der Anhörung in einen Online-Diskurs münden wird, um allen, die ein Interesse am Austausch zu diesem Thema haben, die Möglichkeit zu geben, sich daran zu beteiligen. Auf diesem Wege soll ein wechselseitiger Austausch von Betroffenen und Experten in Gang gesetzt werden, um auf diese Weise wichtige Informationen zu gewinnen und eine solide empirische Basis für seine
Stellungnahme zu schaffen.

Intersexualität oder Zwischengeschlechtlichkeit beschreibt unterschiedliche Phänomene uneindeutiger Geschlechtszugehörigkeit mit jeweils verschiedenen Ursachen. Nach wie vor werden Betroffene im Kleinkindalter an den Genitalien operiert, weil Mediziner und Eltern die Zwischengeschlechtlichkeit als eine Entwicklungsstörung sehen, die zum Wohle der Betroffenen chirurgisch sowie hormonell behandelt werden sollte. Selbsthilfegruppen intersexueller Menschen wehren sich jedoch zunehmend gegen solche Eingriffe, mit dem
Verweis auf das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und freie Persönlichkeitsentfaltung.

Sie sind herzlich eingeladen, als Zuhörer an der Veranstaltung teilzunehmen. Das detaillierte Programm wird in Kürze unter www.ethikrat.org bekannt gegeben.