Marc Thielen: Jenseits nationaler Grenzen

Logo des Podcasts von Jenseits der GeschlechtergrenzenHeute präsentieren wir euch einen älteren Vortrag aus dem Wintersemester 2008/2009 – was man leider auch an der nicht ganz so guten Tonqualität hören kann. Marc Thielen sprach über „Prozesse sexueller Subjektpositionierungen in der Migration“. Der Träger des Augsburger Wissenschaftspreis für Interkulturelle Studien ist zurzeit Vertretungsprofessor für Lernbehindertenpädagogik/Lernhilfe an der Goethe-Universität Frankfurt (Fachbereich Erziehungswissenschaften, Institut für Sonderpädagogik). 2009 erschien seine Monographie „Wo anders leben? Migration, Männlichkeit und Sexualität. Biografische Inter- views mit iranischstämmigen Migranten in Deutschland“ (Münster: Waxmann).

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In medialen wie wissenschaftlichen Diskursen gelten geschlechtlich-sexuelle Lebensentwürfe von Migranten aus muslimischen bzw. orientalischen Herkunftsländern meist als kulturbedingt traditionell und rückständig. Zu ver-weisen ist in diesem Zusammenhang auf die emotional und einseitige geführten Debatten um das Kopftuch oder die problematische ‚fremde’ Männlichkeit, die türkische Jugendliche angeblich aus ihrer Herkunftskultur nach Deutschland ‚importieren’. Auf der Grundlage biografischer Interviews mit iranischstämmigen Migranten betont der Beitrag demgegenüber die Komplexität transnationaler Migration. Anhand exemplarischer Migrationsverläufe von Männern, die sich in iranischen schwul-lesbischen Communties in Deutschland engagieren, wird die Vielfalt, Dynamik und Veränderbarkeit von Geschlechts- und Sexualitätskonstruktionen in der Migration rekonstruiert. Während einige Befragten bereits für die Lebensabschnitte im iranischen Herkunftskontext die Verwirklichung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen beschreiben, wie sie aus westlichen urbanen Kontexten bekannt sind, evaluieren andere ihre Migration als Auslösebedingung für Prozesse sexueller Um- und Neupositionierung. Dabei werden die in den Zielgesellschaften vorgefundenen Identitätsentwürfe nicht einfach übernommen, sondern in komplexen, ambivalenten und in sich widersprüchlichen biografischen Selbstreflexions- und Selbstvergewisserungsprozessen aktiv angeeignet, modifiziert, weiterentwickelt oder in späteren Lebensphasen wieder abgelegt und durch alternative Muster ersetzt. Die sexuelle Sozialisation in der Migration erscheint als ein dynamisches, unabgeschlossenes und richtungsoffenes Prozessgeschehen.