Moritz Ege: Schwarz Werden

Logo des Podcasts von Jenseits der GeschlechtergrenzenHeute präsentieren wir euch den Vortrag „Schwarz Werden. ‚Afroamerikanophilie‘ in der Bundesrepublik der 1960er und 1970er Jahre“, den der Kulturwissenschaftler Moritz Ege im November 2007 in unserer Reihe gehalten hat. Im selben Jahr erschien seine Monographie Schwarz werden. „Afroamerikanophilie“ in den 1960er und 1970er Jahren bei transcript. Moritz Ege ist mittlerweile Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ludwig-Maximilians-Universität München am Institut für Volkskunde/Europäische Ethonologie.

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Die Begeisterung für kulturelle Formen afroamerikanischer Herkunft, verbunden mit einer häufig exotistisch-ambivalenten Verklärung ihrer Urheberinnen und Urheber (und anderer Afroamerikaner), zieht sich durch „weiße“ Avantgarden, Jugend- und Gegenkulturen des 20. Jahrhunderts bis in die Populärkultur der Gegenwart. Zwischen 1967 und 1975, in der Folge bzw. parallel zu Umbrüchen in den USA und in der nachkolonialen Welt, nahm die „Afroamerikanophilie“ auch hierzulande neue Formen an und gewann eine neue Intensität: schwarzer „Glamour“ in der Werbung, Soul-Musik im Radio und in den Diskotheken, Fantasien von schwarz-weißem Sex in bebilderten Zeit- und in zeitdiagnostischen Programmschriften, Black-Power-Solidarität unter Intellektuellen und anderen radikalen Linken.

Im Vortrag werden die Konturen bundesrepublikanischer „Afroamerikanophilie“ um 1968 in verschiedenen kulturellen Feldern nachgezeichnet. Ausgangspunkt der Analyse ist die Begeisterung für die „Black Panthers“ in politischen Gruppierungen bzw. Szenen, insbesondere im subkulturellen Milieu des Berliner „Blues“, aus dem die linksterroristische „Bewegung 2. Juni“ hervorging. Nirgendwo sonst fand eine derart konzentrierte Aneignung sowohl schwarzer Politik als auch schwarzen Stils statt wie bei den selbsternannten „weißen Negern“ des „Blues“. Sie entdeckten das eindrücklichste Vorbild für ihre Vorstellungen von (kultur-)revolutionärer Politik (und Männlichkeit) bei der US-amerikanischen Black Panther Party. Sie suchten nicht nur nach praktischen Formen von Solidarität, sondern bemühten sich auch um Zugehörigkeit zum schwarzen Amerika, in das sie wie viele Afroamerikanophile bereits pop-medial „hineinsozialisiert“ worden waren. Diese Zugehörigkeit sollte sich (angesichts der geringen tatsächlichen Präsenz schwarzer Amerikaner in Deutschland außerhalb von Kasernen) in verschiedenen Medien von Erfahrung imaginär und symbolisch herstellen, und sie sollte nicht zuletzt auch den Ausschluss weißer Unterstützer überwinden, der in weiten Teilen der Black-Power-Bewegung in den USA durchgesetzt wurde. Gerade diese Suche nach Einlass – auf der Basis von politischer Programmatik oder geteilter Erfahrung – in eine zunehmend exklusive „Community“ macht ein „feldübergreifendes“ Thema aus, an dem sich nicht nur Solidaritätsaktivisten abarbeiteten. Ähnliche Motive charakterisieren zum Beispiel den Pop-Musikdiskurs, in dem die (Un-)Möglichkeit einer weißen Soul-Stimme verhandelt wird. In allen hier analysierten kulturellen Feldern kommt der Verkörperung und dem „feeling“ eine zentrale Bedeutung zu, um die Zugehörigkeits- oder zumindest Äquivalenzbehauptungen zu untermauern.

Die „Afroamerikanophilie“ um 1968 hatte viel mit der bloßen Umwertung rassistischer Zuschreibungen (z.B. von „ursprünglicher“ schwarzer Körperlichkeit) zu tun, geht darin aber ebenso wenig auf wie in psychoanalytischen Modellen von „Identifikation“ oder behavioristischen Modellen von „Nachahmung“. Deshalb werden abschließend einige Vorteile (und einige Beschränkungen) des emphatischen Begriffs „Minoritär-Werden“ erörtert, den die zeitgenössischen Theoretiker Gilles Deleuze und Félix Guattari nicht zuletzt mit dem „Schwarz-Werden“ illustrierten. Somit sollen im Vortrag (a) die „feldübergreifenden Effekte“ und Dynamiken des historischen Moments und (b) die kulturgeschichtlichen Kontinuitäten der „Afroamerikanophilie“, aber auch (c) die Unausweichlichkeit politischer Unterscheidungskriterien in der Kulturanalyse verdeutlicht werden..

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