Martina Tißberger
Dark Continents. Psychoanalyse, Gender, Whiteness.
Mittwoch 15.07.2009, 19:15, Von Melle Park 5 („Wiwi Bunker“) 0079
Mittwoch präsentieren wir zum Ende der Vorlesungszeit Martina Tißberger, sie ist Dipl.Psychologin am Bereich „Geschichte der Psychologie“ der FU Berlin und arbeitet zu Psycholanalyse, Gender unter Critical Whiteness und nutzt dabei auch diskursanalytische Methodik.
Die Referentin zum Vortrag:
„Freuds Allegorisierung weiblicher Sexualität als „dark continent“ verweist unbeabsichtigt auf zwei konstitutive Figuren der Psychoanalyse: Geschlecht und Rasse. Sie sind beide Differenz-Figuren mit deren Hilfe Ausschlüsse vorgenommen werden, damit das Subjekt der Psychoanalyse hervortreten kann. Geschlecht, bzw. die sexuelle Differenz stellt die Anfangs-Figur dar. Der dunkle Kontinent als Allegorisierung Afrikas, das für ‚Rasse‘ steht, ist der verschobene – der verdrängte Anfang. Dieser ‚Kontinent weiblicher Sexualität‘ ist ein weißer Fleck in der Erkenntnislandschaft Freuds – etwas, das sich ihm beständig zu entziehen scheint und das zur ‚Leerstelle Frau‘, dem konstitutiven Mangel des Subjekts der Psychoanalyse, wird. Diese Leerstelle – das Unbewusste in der Psychoanalyse – ist also in interdependenter Weise rassisch und geschlechtlich codiert. Durch Freuds Ambivalenz als weißer Mann in einer sexistischen und kolonialistischen Gesellschaft und zugleich als Jude in einer antisemitischen Gesellschaft hat er uns eine Subjekttheorie hinterlassen, die ein ebenso revolutionäres wie reaktionäres Potenzial hat. Mit Daniel Boyarin argumentiere ich, dass ‚Rasseʼ in Form des Antisemitismus den verschobenen Anfang der Psychoanalyse darstellt – eine Differenz, die Freud in die sexuelle Differenz verschoben hat. Ich nehme deshalb die ‚Leerstelle in der Psychoanalyse‘ – ihr Unbewusstes – als Ausgangspunkt für eine Historisierung und zugleich eine Dekonstruktion ihres Subjekts um zu zeigen, dass ‚Rasse‘ und Gender gleichermaßen konstitutiv für dieses Subjekt sind.“
Gerade angesichts der stark ’naturwissenschaftlich‘ ausgerichteten Hamburger Psychologie bedeutet dies eine Chance zur Horizonterweiterung. Wie unzureichend ‚Naturwissenschaft‘ für psychologische Fragestellung sein kann, zeigte uns dieses Semester bereits die Biologin und Kulturwissenschaftlerin Kerstin Palm. Wer jenen Vortrag verpaßt hat, kann ihn hier nachlesen.
Ein sehr interessaneter Gesichtspunkt zur Klarung episthemologischer Fragen hinsichtlich der Geschichte der Psychoanalyse. Wir führen hier in Buenos Aires ein Seminar.
Dr. Curt Bernhard Hacker