Benno Gammerl
Von Amazone bis Zögling. Männlichkeiten und Weiblichkeiten in gleichgeschlechtlichen Kontaktanzeigen
Mittwoch 29.06.2011, 19:15, Von Melle Park 5 („Wiwi Bunker“) 0079
Benno Gammerl ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Forschungsbereich Geschichte der Gefühle zu Berlin. Er referiert Mittwoch zu folgendem Thema:
Zwischen Tuntenstreit und Hypermaskulinität, zwischen Damenkränzchen und sexpositivem Feminismus: Konflikte um die angemessene und politischen wie persönlichen Erfolg verheißende Aneignung bipolarer oder transgressiver Geschlechtlichkeiten haben die Geschichte der Homosexualitäten seit den 1950er Jahren geprägt. In Kontaktanzeigen bezeichneten frauenliebende Frauen und männerliebende Männer sich selbst und die von ihnen Gesuchten als „Menschinnen“, „Jeanstypen“, „Hexen“, „boys“, „Traditionslesben“ oder „Kameraden“ und markierten damit Positionen in einem weiten Spektrum von Männlichkeiten, Weiblichkeiten und anderen Möglichkeiten. Wie haben sich diese Selbst- und Fremdbeschreibungen im Lauf der Zeit verändert? Kann man zwischen dominanten Versionen und marginalisierten Alternativen unterscheiden oder von einer zunehmenden Pluralisierung sprechen? Und welche Schlüsse lassen sich daraus für heutige Konstellationen ziehen – zwischen der Vielfältigkeitsparty, dem schwulesbischen Identitätsbau und queeren Verwerfungen?
Ich durfte etwas ganz besonderes erleben. Da ich, nach meiner Scheidung eigentlich allein bleiben wollte, aber
„neutralen“, aber geistreichen Briefwechsel haben wollte, hatte ich ein Brieffreundschfts-Inserat in der „Queer“ aufgegeben: „Junge Künstlerin sucht Brief- und
Fax-Gedankenaustausch mit interessanten Leuten.“ Neben eineigen, mir nicht ganz geheuren
Antworten, denn ich suchte durchaus keinen erotischen
Austausch, bekam ich einen so schönen Brief von einem Mann, der immer schwul gelebt hatte. Ich, als Autorin, sah aber auch zwischen den Zeilen, daß dies ein Mensch sei, wie ich ihn mir eigentlich immer gewünscht hatte und mit einer solchen Seelenverwandtschaft, daß es nur eines gab: ich
wollte ihn gewinnen, egal, ob da dieses Hindernis war,
da ich eine Frau bin….Wir sahen uns dann auch
ofter, und natürlich kam dies, was ich mir von Herzen wünschte, lange für ihn nicht in Frage. Er war aber
auch glücklich, endlich einen Menschen gefunden zu haben. Er war lange beinleidend, was in der Schwulenwelt natürlich Isolation bedeutete. Auch
war er ein „untypischer“ Schwuler, da er sich eine
lange und vertrauensvolle monogame Beziehung wünschte. Also eigentlich aussichtslos, wie es schien.
Kurz und gut: das „Wunder“ ereignete sich, und ich durfte ihn gewinnen, mit allem was dazu gehört:
harmonische Partnerschaft mit Körper und Seele
(seine erste Beziehung war auch eine Frau gewesen).
Wer kann schon sagen, daß der „eigene“ Mann nicht nach anderen Frauen sieht! TRAUM! Hingegen fand ich es ok, daß er bewundernd über Männer sprach, da dies
kein Mangel meinerseits war, sondern eben so war. Wir konnten auch wunderbar über Männer hetzen und lästern, was wohltat und erheiterte. Er war sehr
androgyn, was mir selber wohltat, da ich ein sehr zerstörtes Männerbild habe. Hier war einer, den ich auch beschützen durfte, besonders gegen seine dominante Mutter und überhaupt, und er ließ mich
wissen, daß alles gut wird und ich geborgen bin.
Einer stützt den anderen.
Als wir quasi den Zenit erreichten, kam die Krebsdiagnose für ihn. Ich durfte ihn stützen und
ermutigen und auf diesem Wege mit ihm reifen.
Leider konnten wir nicht mehr heiraten. Er hatte mir
desöfteren innig einen Antrag gemacht, aber wollte erst gesund sein mit den Beinen, um am Altar stehen zu können während der gesamten Feier, und dann war ja das andeere…Das mit dem Krebs. Die Ärzte hatten selten eine so kämpfende und optimistisch denkende Frau erlebt und sprachen mich ausnahmslos mit seinem Familiennamen bereits an. Das freute uns.
Ich wußte, daß wir es schaffen, aber im Oktober 2009 sah ich ihn einschlafen.
Er hat mir so viel an Liebe geschenkt. das ist ein tragendes Fundament, solange ich lebe! Ich habe ihm
ein neues Leben zu danken – mein erstes richtiges; wir
kannten uns 8 Jahre, wovon er 6 Jahre lang mein
Verlobter war.
Auch so etwas kann geschehen aufgrund solcher
Anzeigen. Das sollten Sie erfahren, weil es schon
fast wie ein Märchen klingt, und ich selber bin so
dankbar, daß ich das erleben durfte. Hierüber schreibe
ich auch mein erstes längeres Buch. Es wird einfach,
aber anspruchsvoll, zum Schmunzeln und auch traurig-
eben wie es wirklich war.